Humorvolle Aktion mit ernstem Hintergrund zum Stadtjubiläum: „1200 Hildesheimer Gestalten“

Hildesheim stand 2015 ganz im Zeichen seines 1200. Geburtstags, Feiern wird groß geschrieben. Doch wie werden die Randgruppen in das Jubiläum eingebunden? Machen sie mit oder erschweren ihnen sichtbare und unsichtbare Hindernisse das Dabeisein? Antworten auf diese Fragen sucht die Diakonie Himmelsthür mit ihrer Projektreihe „1200 Hildesheimer Gestalten“.

Humorvoll soll es dabei zugehen. Da werden etwa Stigmata zum Mitnehmen gebastelt. Mittelalterliche Bettler und Bettlerinnen sammeln Gemüse für einen Rieseneintopf, der 500 Menschen sättigt. Und schräge Vögel sollen das Sommerfest der Diakonie Himmelsthür dominieren. Von April bis Oktober 2015 wird im Rahmen des Stadtjubiläums jeden Monat eine große Aktion veranstaltet, nur im Juni wird eine Pause eingelegt. Nordstadt.Mehr.Wert, Herberge zur Heimat und proWerkstätten Himmelsthür sind als Kooperationspartnerinnen und -partner im Boot, Fördergelder kommen von der Johannishofstiftung und dem Bernward-Krankenhaus.

„Viele Barrieren sind ja schon abgebaut“, sagt Miriam Raabe, Projektleiterin und Eventmanagerin bei der Diakonie Himmelsthür. Zugleich sehe sie allerdings noch viele Umstände, die Menschen an den Rand drängen – aus dem Zentrum der Gesellschaft heraus. Eine andere Sprache, soziale Umstände, Herkunft, Wohnungslosigkeit, geistige oder körperliche Beeinträchtigungen erzeugen ihrer Ansicht nach Vorurteile. Ausgrenzung sei die Folge. „Die Randgruppenzugehörigkeit passiert ganz willkürlich“, so Miriam Raabe, „aufgrund irgendeines Merkmales, auf das man keinen Einfluss hat.“ Genau diesen Aspekt will sich das Projekt zunutze machen, indem es übertreibt und karikiert. „Die Aktionen sind mit Absicht alle ein bisschen überspitzt“, erklärt Miriam Raabe.

Wohnungslose, Ehrlose, schmerzgeplagte Menschen und Aussätzige sind Gruppen, die im Verlauf des Projektes zu Wort kommen. Kunst für Kinder und Erwachsene wird es geben, Übernachtungscontainer für moderne Nomaden und Perücken für Kürbisse. Vielleicht wird auch geteert und gefedert. Alle Aktivitäten haben gemeinsam, dass sie komplett barrierefrei sind: Ausnahmslos alle dürfen und können teilnehmen.

Kunstwunden alsToleranzbotschaften

Die künstliche Wunde, die die zehn jährige Maximiliane sorgfältig auf Judith Hoffmanns Unterarm anbringt, wird eine besonders schlimme. Latex, „Fresh Scratch“ und „Wundenfüller“, Schicht um Schicht mit dem Pinsel aufgetragen. Sehr realistisch sieht das aus. Aber das soll es ja auch. „Stigma to go“ hieß das Motto der Auftakt aktion, zu der die Diakonie Himmelsthür und das Roemer- und Pelizaeus-Museum aufgerufen hatten. „Gönnen Sie sich ein Stigma und fühlen Sie nach, wie es ist, ausgegrenzt zu sein“, ruft Judith Hoffmann, Regionalgeschäftsführerin der Diakonie Himmelsthür, einladend in die große Schar der Gäste. Die künstlichen Wundmale stehen stellvertretend für körperliche oder seelische Verletzungen, überspitzen diese plakativ und deuten sie somit um: Jedes Stigma wird zur Toleranzbotschaft.

Zum Abschluss spazierten alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer durch die Fußgängerzone.

Von Suppenhühnern und Pastinaken

„Eine milde Gabe für eine warme Suppe“ steht auf dem Kärtchen, das Claudia Beier Soares am Gemüsestand der Verkäuferin hinüberreicht. Die „Hildesheimer Gestalten“ in Umhängen aus grobem Sackstoff sammeln für eine Bettelsuppe. Da gibt es natürlich auch gleich eine Tüte mit Mohrrüben für den guten Zweck und die gute Idee. Während die Bettelgruppen noch unterwegs waren, liefen im Kochzelt schon die Küchenarbeiten an. Das Duisburger Team „Das Kommando Verpflegung“ von Matthias Fischer und die Mitglieder eines inklusiven Kochkurses aus dem „Treffer“ in der Nordstadt schnippelten Kartoffeln und Zwiebeln, Möhren und Kohlrabi. Bald zog ein appetitanregender, würziger Duft über die Lilie. Am Ende konnten 450 Portionen Suppe an die Hildesheimer verteilt werden.

Der Text erschien zuerst im Magazin „miteinander.leben“ der Diakonie Himmelsthür, Ausgabe Juni 2015.